Welche Länder können Vollgeld am ehesten einführen?

Der Sache nach kann jedes Land, das bestimmte Bedingungen erfüllt, von Giralgeld zu Vollgeld übergehen. Zu den Bedingungen gehören ein stabiles Regierungssystem, Rechtssicherheit, eine produktive Wirtschaft und eine vergleichsweise starke Währung. Vor allem muss ein solches Land eine unabhängige staatliche Zentralbank aufweisen, also keine private Zentralbank mehr, oder eine mit privat-öffentlich gemischter Eigentümerstruktur, sondern eine Zentralbank, die faktisch bereits die oberste Währungs- und Geldbehörde des Landes ist, nur dass sie heute die Geldschöpfung nicht unter Kontrolle hat und bloß 5–20 statt 100 Prozent der Zahlungsmittel von ihr ausgegeben werden. Geeignete Kandidaten unter den OECD-Ländern wären zum Beispiel Japan, Großbritannien, Norwegen, die Schweiz, Kanada, Neuseeland oder Australien.

Am wirkungsvollsten wäre es natürlich, die USA würden den Schritt zu einer Vollgeld­ordnung als erste tun, zumal der US-Dollar immer noch die Weltleitwährung und größte Reservewährung ist. Jedoch ist das Federal Reserve System der USA, trotz einer Vielzahl gesetzlicher Regularien, immer noch ein privatrechtliches Konsortium mit öffentlich-privat gemischter Eigentümerstruktur. Die 'Fed' müsste in oder vor einem solchen Reformprozess zuerst noch verstaatlicht werden.

Ein weiterer Kandidat ist zweifellos die Euro-Währungsunion. Siehe dazu die Frage zur Einführung einer Vollgeldordnung in der Europäischen Währungsunion.

In Frage kommen neuerdings auch neuindustrielle Staaten China, Indien, Russland, Brasilien, Türkei oder Südafrika. Zusammen mit ihrer gewachsenen Wirtschaftsgröße sind sie auch politisch von wachsendem Gewicht. Allerdings besitzen die Zentralbanken dieser und vergleichbarer Staaten meist noch nicht die nötige Unabhängigkeit gegenüber ihren Regierungen. Eine Reform der Geldschöpfung ohne eine gewaltenteilig unabhängig gestellte Zentralbank im Sinn einer Monetative würde aufgrund der tendenziellen Schrankenlosigkeit der Staatsausgaben Gefahr laufen, monetär ebenso zu entgleisen als das heutige Giralgeldregime.

Die Länder, die eine Vollgeldreform zuerst durchführen, kämen gegenüber den Nachzüglern in den Genuss einer Reihe von First-Mover-Vorteilen. Dazu gehören die Vereinnahmung des vollen Geldschöpfungsgewinns zugunsten der Staatskasse (Seigniorage), die rasche Entschuldung des Staatshaushalts im Zuge der Umstellung, die Sicherheit des Geldes, ein im internationalen Vergleich günstiges Zinsniveau (bewirkt durch die schuldenfreie Geldschöpfung selbst sowie durch Währungsaufwertung als Stabilitätsprämie), damit gegeben auch eine erhöhte Geld- und Finanzmarktstabilität und eine damit verbundene Verstetigung von Konjunktur- und Finanzmarktzyklen. Sobald sich solche Wirkungen einstellen und somit der Übergang zu einem Vollgeldregime als Fortschritt, als systemische Innovation praktisch erfahren wird, würde dies vermutlich einen Art Dominoeffekt auslösen: ein Land nach dem anderen würde erwägen, die neue Geldordnung zu über­nehmen.

Freilich müssen die First Mover auch mehr als Nachzügler mit Widerständen und daraus folgenden Widrigkeiten rechnen. Wo immer eine solche Reform ins Auge gefasst wird, hat sie, wie jede andere Reform auch, gewisse interessenspolitisch motivierte  Widersacher gegen sich, oder Reaktionen aufgrund gerüchteweiser Mutmaßungen und Verunsicherungen. Das könnte - in der Sache grundlos, politisch von Gegnern jedoch gewollt - vorübergehend für Irritationen im Publikum und an den Devisen- und internationalen Wertpapiermärkten sorgen. Umso wichtiger, dass ein großer Wirtschaftsraum von Gewicht den Schritt zuerst tut, oder ein kleines Land, dessen politisch-ökonomisches Standing über jeden Zweifel erhaben ist.